Twitter – Zwischen Leben, Trash und Lyrik.

Eine halbe Million Zeichen ((Die genaue Zahl dürfte höher sein. Durchschnittliche Tweetlänge multipliziert mit der Anzahl der Tweets)), verteilt auf über 8000 Nachrichten. Hunderte Menschen, die ich verfolge und noch mehr, die hin und wieder einen Blick in mein Leben werfen. Ein Rückblick auf 500 Tage Twitter, Relevanzdiskussionen, Technophilie und dem Einfluss auf mein Leben.

Erst dachte ich ja: Titten? ((Das ist ein Link, klicken!))

Am 8. Jänner 2008 habe ich mich bei Twitter registriert. Den ersten Tweet finde ich leider nicht mehr, jedoch kann ich mich noch gut daran erinnern, wie ich mich zuvor mehrfach gegen eine Registrierung entschieden habe, weil ich keinen Sinn in diesem Dienst sah. 140 Zeichen. Man kann ja auch mit 140 Zeichen Blogeinträge schreiben. Das ist noch kein Grund sich bei einem weiteren Dienst anzumelden. Diese Unverständnis erfahre ich auch heute noch oft, wenn ich über den Dienst spreche. Neben den fehlenden Sinn haben sich noch weitere Vorurteile gesellt, woran die klassischen Medien nicht ganz unschuldig sind.

  • Das sind alles Belanglosigkeiten.
  • In 140 Zeichen kann man gar nichts vermitteln.
  • Twitter lenkt ständigt ab.
  • Dort gibt man alles von sich preis.
  • Das ist viel zu chaotisch.
  • So vielen Nachrichten kann man gar nicht lesen.
  • Twitter hat nichts mit dem Leben zu tun.

Mehr gibt es bei Klaus Eck ((Klaus Eck nimmt hier die Rolles des Advocatus Diaboli ein)) und Antworten dazu bei Hannes Offenbacher oder Benedikt Köhler.

Ich habe mich damals angemeldet, weil Pia Januszek es auch gemacht hat. Ob man das nun Herdentrieb, Netzeffekt oder Peer Pressure nennt, spielt am Ende keine Rolle. Mein Vorteil war, dass ich schon jemanden hatte, dem ich folgen konnte. Über die Follower und Following von Pia fand ich auch bald zu weiteren Menschen, die mich interessierten und/oder die ich bereits von ihren Blogs kannte. Den Initiationsritus in Twitter aus kulturanthopologischer Sicht erklärt Jana Herwig in folgender Präsentation.

Twitter hat nichts mit dem Leben zu tun

Twitter hat nichts mit dem Leben zu tun. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Twitter hat nichts mit dem Leben zu tun. Der Satz kommt einem „Briefe schreiben hat nichts mit dem Leben zu tun“ nahe. Oder „Plaudern hat nichts mit dem Leben zu tun.“.

Ich muss an den Digital Divide denken. Menschen, die mit neuen Technologien leben und solche, die es nicht tun. Twitter hat nichts mit dem Leben zu tun. Der Satz bekommt eine völlig neue und leider auch berechtigte Bedeutung, wenn man „von den meisten Menschen“ einfügt. Twitter hat nichts mit dem Leben von den meisten Menschen zu tun. Für die Menschen, die es benutzen, hat es aber sehr viel mit dem Leben zu tun.

Stell dir vor, 200 Menschen, die ganz ähnliche Interessen haben wie du, schreiben dir täglich Post-It Notes mit ihren alltäglichen Mikro-Erkenntnissen oder Mikro-Entdeckungen! ((Was ist Twitter? (Version Digitalks, 21.4.2009), Folie 25))

Und dies ist nur ein Teil von meinem täglichen Twitter-Erlebnis. Auch sind es inzwischen über 700 Personen, denen ich folge und somit deren Nachrichten bekomme. Das Mikro vor den Erkenntnissen und Entdeckungen würde ich ebenfalls in Frage stellen, weil sich das Mikro oft lediglich auf die Länge der Nachricht, aber nicht ihren Wert bezieht.

Stell dir vor es gibt Millionen Menschen, die jeden Tag zu unterschiedlichen Themen recherchieren und dich an ihren Ergebnissen teilhaben lassen.

Was ist Twitter?

Twitter als Mikroblogging zu bezeichnen geht nicht weit genug und viele Menschen scheitern schon bei dem Begriff Blogging.

Aus meiner Sicht ist Twitter mit einem Protokoll vergleichbar. Viele kennen ICQ, MSN oder Jabber. Diese Chatprogramme verwenden unterschiedlichen Protokollen und man kann verschiedene Dinge damit anfangen. Bei Twitter ist es ähnlich, nur dass man mehr Möglichkeiten hat, da mehr Daten zusammenkommen. Twitter als Protokoll sagt wie man Nachrichten und andere Daten abrufen bzw. eintragen kann. Weder beim Inhalt noch bei der Weiterverarbeitung gibt es von Twitter Beschränkungen. Ganz so stimmt es nicht. Eine Nachricht hat maximal 140 Zeichen und kann exakt einem User zugeordnet werden. Der User hat einen, auf Twitter einzigartigen Nicknamen und neben der Möglichkeit ein Bild hochzuladen vier zusätzliche Informationsfelder zur Verfügung. Name, Location, Web und Bio. Diese besitzen wiederum bestimmte Einschränkungen. Zusätzlich kommen einige Daten hinzu, die der User nur indirekt beeinflusse kann. Anzahl der Updates, Follower, Following und seine Favorites. Auch jeder Tweet besitzt neben den 140 Zeichen einige höchstens indirekt beeinflussbare Daten. Das sind neben dem User, der ihn geschrieben hat, die Uhrzeit, der Client, mit dem er geschrieben wurde und der Permalink über den er aufrufbar ist. Diese ganzen Daten lassen sich nun über die API abrufen und weiterverarbeiten. Über bestimmte Befehle kann man Twitter, ähnlich einer Kommandozeile, steuern.

Vollkommen logisch. Eine solche technische Beschreibung kann zwar beschreiben, wie Twitter auf ebendieser Ebene funktioniert, aber nicht wie es von den Menschen genutzt wird. Wenn man einen neuen Begriff einführt muss man diesen mit bestehenden beschreiben. Sowohl bei Blog, als auch bei Twitter empfinde ich dies als äußerst schwierig, weil jeder selbst entscheidet wie er den Dienst nutzt und somit nur eine technische Beschreibung übrig bleibt. Diese trifft jedoch auch auf andere Dienste zu und dient daher nicht als Abgrenzung. Diese ist wiederum nur über die Nutzung möglich, welche aber so umfangreich ist, dass nicht alle Möglichkeiten bekannt sind. Es ist als würde man versuchen Papier zu erklären. Dennoch werde ich eine Auswahl an Vergleichen präsentieren, an denen man einen Teil der Möglichkeiten sehen kann.

Twitter als Dorftratsch

In einem Dorf gibt es Leute, denen man beinahe jeden Tag über den Weg läuft, es scheint als wären sie immer an den gleichen Orten und man plaudert auch öfters mit ihnen, da sich auch die Interessen überschneiden. Andere Leute sieht man seltener, vielleicht auf dem Weg in die Arbeit, beim einkaufen oder wenn man die Kinder aus dem Kindergarten abholt. Manche Menschen sieht man gar nie. Gesprächsthemen sind die Arbeit, das Wetter, ein neuer Politiker und manchmal die eigenen Interessen. Meist ist es oberflächlich, man stellt sich etwas besser hin als man ist, prahlt ein wenig mit dem Job oder wie gut es einem gerade geht. Hin und wieder gibt es auch ein Event über das alle sprechen und/oder hingehen. Bei Twitter ist es ähnlich. Nur die Anzahl der Menschen, die man nie trifft ist wesentlich höher, man hört öfters bei fremden Gesprächen mit und die Events können sowohl reale als auch virtuelle, wie etwas ein neuer Dienst sein.

Twitter als Unterhaltung am Bürogang

Viele Menschen bei Twitter arbeiten am Computer, manche in einem Büro andere in einem Café, daheim oder unterwegs. In den meisten Gebieten findet man andere Personen, die ebenfalls in diesem arbeiten und so tauscht man sich über aktuelle Entwicklungen aus, wenn man irgendwo ein Problem hat, fragt man kurz, ob jemand helfen kann oder hilft jemand anderem, wenn man selbst ein Problem lösen kann. So entsteht eine virtuelle Bürogemeinschaft, die sich gegenseitig auf dem aktuellen Stand hält und auch zum plaudern in einer Pause da ist.

Twitter als Gespräch unter Freunden

Man bastelt sich über zwei Wege ein Bild von einer anderen Person zusammen. Der eine ist der erste Eindruck, wie jemand gekleidet ist, was er arbeitet oder woher er kommt. Der zweite ist die Zeit. Und hier kommt Twitter ins Spiel. Man erfährt was Personen machen, was sie interessiert, womit sie sich beschäftigen und bekommt zugleich durch Freunde von ihnen die Absicherung, dass sie auch wirklich so sind und sich nicht nur so geben ((Natürlich kann man auch hier faken, aber es ist gleich schwierig wie im materiellen Leben.)).

Twitter als Brücke zu Diensten und Dingen

Wie oben bereits erwähnt kann man mit Twitter nicht nur Nachrichten zwischen Menschen austauschen, sonder noch mehr. Beispielswiese kann ich mit einem Tweet einen Termin in meinen Kalender eintragen oder eine Aufgabe in die To-Do List speichern. Es funktioniert jedoch auch in die andere Richtung. Man kann sich etwa von seiner Kaffeemaschine informieren lassen, wann der Kaffee fertig ist.

Twitter als Nachrichten-Ticker

Inzwischen haben viele Zeitungen einen Twitter-Account, wo sie ihre Headlines automatisch rauswerfen. Einige Blogger haben auch einen eigenen Account für den Blog, wo einfach der RSS-Feed reinläuft. Auch einige Journalisten (Österreich) haben gefallen an dem Medium gefunden und wenn man den richtigen Leuten folgt, bekommt man vieles früher mit, als es auf den Websites der klassischen Medien erscheint. Erscheint die Nachricht interessant genug, muss man den Personen gar nicht direkt folgen, weil genügend Leute sie weiterreichen werden.

Faszination Twitter

Neben den hunderten Tools, die rund um Twitter entstanden sind ((dazu ein anderes Mal ein eigener Beitrag)), sind es die Menschen, die mich begeistern. Was Twitter alles ermöglicht hat und wie es mir immer wieder den Tag rettet.

Für mich ist Twitter vieles. Vor allem aber kurze Nachrichten von Menschen, die mich interessieren. Mit einem einfachen Klick drücke ich mein Interesse aus und schon bekomme ich diese kleinen Wortbilder aus ihren Leben. Einen spannenden Link, einen Witz, ein literarisches Meisterwerk. Ganze Geschichten werden in 140 Zeichen erzählt. Doch es bleibt nicht beim Virtuellen, mit vielen habe ich mich schon auf einen Kaffee getroffen, etwas gegessen oder nur kurz auf einer Veranstaltung Hallo gesagt. Ich lebe in einer Welt, wo es dank dem Internet möglich ist mehr als zehn Freunde zu haben. Der enge Freundeskreis ((5 Personen)) bleibt gleich, aber die Personen, die man manchmal trifft, mit denen man sich gerne austausch wächst erheblich. Man muss auch nicht alle als Freunde bezeichnen. Viele sind tolle Kontakte, die einen immer wieder inspirieren oder sonstwie weiterhelfen.

Das Argument der fehlenden Relevanz, der Belanglosigkeit, trifft in den meisten Fällen zu, wenn es um gesamgesellschafltiche Relevanz geht. Für mich ist es aber sehr wohl relevant, was meine Freunde machen, wie ich ein spezielles Problem los ist oder wo man Abend hingehen kann. Bei Twitter verbreitet sich Information schneller als über klassische Medien, meist ist es einfach sie bis an die Quelle zu verfolgen und meine Following liefern mir oft die Gegenmeinung gleich mit. Somit wären wir auch wieder bei gesellschaftlicher Relevanz, die in manchen Fällen auch gegeben ist, weil ich auf Twitter eben die Dinge weitergereicht werden, die als relevant eingestuft werden. Über die Entscheidung wem ich folge, kann ich zusätzlich grob das Themenspektrum einstellen, worüber ich mehr Informationen möchte. Die persönliche Eben sollte jedoch nicht vergessen werden. Mit der Zeit baut zu bestimmten Twitterer ein Vertrauen auf, wie es bei einem Journalisten nur selten möglich ist.

Am Ende sind es die Menschen, die Twitter zu etwas besonderem machen.

Die Zukunft?

Ich habe schon einige Services kommen und gehen gesehen. Twitter hält sich trotz einiger Fehler erstaunlich gut. Es ist die Einfachheit, die Masse und die Drittservices, die es immer stärker machen. Hin und wieder habe ich aber das Gefühl, dass es nicht mehr klappt. Die Einfachheit löst nicht alle Probleme. Zum teilen von Links, wie es von den meisten genutzt wird, Bildern oder Videos eignen sich andere Services einfach besser. Allen voran aktuell Friendfeed. Die Möglichkeit auf einen Post zu antworten und nicht nur an die Person, bietet einen gewissen Vorteil. Auch erscheint Friendfied technisch wesentlich besser aufgestellt zu sein als Twitter. Es bietet mehr.

Meine Vermutung ist, dass sich multimediale Inhalte in andere Services verschieben werden, damit auch viele User weiterwandern und Twitter stärker zu einem stärker textlastigen Kommunikationstool wird.

Auf lange Sicht wird jeder seinen eigenen Server betreiben und man kann diesen abonnieren. Es gibt die Möglichkeit, ob man alles haben will, nur Updates, Blogposts, Links, Audio, Bilder, Video oder etwas kombiniert. Aber bis dahin wird es noch dauern und ihr werdet es sicherlich in meinem Twitter-Account mitbekommen.

Wer das GodTwitter T-Shirt auch so toll findet wie ich, kann es bei Anton Gigov bestellen.


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Kommentare

8 Antworten zu „Twitter – Zwischen Leben, Trash und Lyrik.“

  1. Avatar von R.

    eine super zusammenfassung mit den vielen beschreibungen, was twitter ist, sein kann und niemals wird. und gleichzeitig eine antithese zu 140 zeichen.

  2. liest: Twitter – Zwischen Leben, Trash und Lyrik. http://tinyurl.com/o226tp

  3. Avatar von georgM

    Wunderbare Gedanken. Schön, dass du sie zusammengefasst hast! Nun kannst du Menschen, denen du Twitter erklären möchtest, endlich einen Link anbieten, der ihnen auf sinnvolle Art die Funktionsweise dieses Services näherbringt.

  4. Avatar von Daniel

    Sehr schön geschriebener Artikel über Twitter. Wenn ich ihn so lese sprichst du mir eigentlich aus der Seele. All das, was du hier schreibst habe ich mir auch schon oft gedacht.
    Mir gefällt aber die Twittererklärung von Franz Joseph immer noch am besten. Sehr klar und einfach erklärt.
    http://franzjoseph.twoday.net/stories/twitter-erklaeren-und-ins-wirtshaus-gehen/

  5. Avatar von Stefan

    Gefällt, sehr schöner Beitrag.

    Kleine Kritikpunkt bzw. Klugscheisserei: Es ist „das API“ (Application Programming Interface) und nicht „die API“. Aber das nur am Rande. ;-)

    It’s all about people, stupid!

  6. Avatar von R.

    wenn schon klugscheißen – dann bitte mit ‚ß‘ (stichwort diphthong)

  7. Avatar von Jenny

    Mir gehts noch so wie dir vor der Registrierung, bin noch am abwarten bis ich den magischen Schritt endlich wage :-)

  8. […] habe in einem der letzten Beiträge bereits über Twitter geschrieben, aber wie wir wissen ist dieser bereits zwei Monate vergangen und Twitter spielt […]

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