Easy

„Na toll, ich hab’s gewusst. Du bist vollkommen wahnsinnig. Kein Wunder, dass sie dich eingesperrt haben."

Mort erschrak, denn er war eingeschlafen und hatte niemanden bemerkt. Um genau zu sein, bemerkte er auch jetzt noch niemanden, als er schlaftrunken und zugleich schweißnass vor Schreck in die Dunkelheit des Raumes starrte.

„Du hättest niemandem von mir erzählen dürfen. Die mussten dich ja für Irre halten. Ich sag nicht, dass du’s nicht bist…"

Der Mann aus seinem Daumen. Der hatte Mort jetzt noch gefehlt. Naja, wenigstens fühlte er sich nicht mehr vollkommen einsam und allein. Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, ob er es nicht doch war.

„Lange nicht gesehen. Hast du mein Geld?"

„Wieso, möchtest du dir ein Upgrade in eine First Class Suite kaufen? Du bist in der Klapsmühle, junger Mann."

„Nicht mehr lange,", gab Mort trotzig zurück, obwohl er sich dessen natürlich nicht sicher sein konnte.

„Oho, er hat wohl einen Plan. (Dass sie den freiwillig wieder rauslassen, bezweifle ich.) Wie willst du’s denn anstellen?"

„Das weiß ich noch nicht. Ist nicht mein Plan."

„Ich will auch garnicht mehr wissen. Hast du was zu essen?"

Mort erbarmte sich und hielt dem Zwerg einen Löffel voll Pudding hin, den er für Weihnachten mitgenommen hatte, sodass er sich eine Zwergenportion davon in eine winzige Schüssel schaufeln konnte.

„Ausgezeichnet. Danke, Kleiner."

Mort ersparte es sich, den Zwerg bezüglich ihrer relativen Körpergröße richtigzustellen, und sah ihm beim Essen zu.

„Eine Frage,", bat er schließlich.

„Bitte."

„Wie heißt du?"

„Isidur von Ems. Du darfst Easy sagen."

„Isi?"

„Nein, Easy. Das ist viel cooler.", erklärte Easy.

„Alles klar, Easy. Ich hätte noch eine Frage."

„Nur zu."

„Wieso wohnt ein Zwerg in meinem Daumen? Ich meine, was bist du? Wo kommst du her? Wieso…" Mort wusste nicht mehr genau, wie er seine Fragen formulieren sollte. Er war schon viel zu verwirrt.

„Irgendwo muss ich ja wohnen. Ich bevorzuge übrigens den Ausdruck „vertikal herausgefordert", nicht „Zwerg". Ich komme aus Nordirland. Sei so gut, gib mir noch eine Schüssel von dem Pudding."

Mort legte den Löffel mit Pudding so auf seine Hand, auf der auch Easy stand, dass dieser sich davon bedienen konnte. Hier steh ich nun, ich armer Tor, dachte Mort. Doch er war des Fragens überdrüssig. Er wollte überhaupt nichts mehr wissen. Nur mehr sein Leben wie gewohnt fortsetzen, selbst wenn es ohne Sidney sein sollte.

Doch er wusste, dass es nicht so sein sollte.

„Eine letzte Frage noch", sagte er.

„Das musst du nicht jedesmal ankündigen. Das klingt wie bei Columbo. Frag einfach."

„Gut, gut, Easy. Hast du eine Uhr?"

„Ja."

Mort war an Easys Art halbwegs gewohnt, aber manchmal vergaß er, wie man mit ihm umgehen musste.

„Also weißt du, wie spät es ist?", fragte er, nachdem er vergeblich auf eine weitere Reaktion gewartet hatte.

„Wenn ich auf die Uhr schaue, ja."

„Würdest du das für mich tun und mir sagen, wie spät es ist?"

„Aber immer doch. Es ist…" Er sah auf seinen Arm, der für Mort in der Dunkelheit so gut wie nicht zu erkenne war. “ …gleich Mitternacht."

„Himmel!", rief Mort und sprang auf.


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